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Deutsche Bahn plant Lärmschutz für Lübeck

Von Hagen Scheffler, Lübeckische Blätter

Seit geraumer Zeit wird in der Hansestadt über Stadtentwicklung, Verkehrswende, Klimaneutralität, Nachhaltigkeit etc. gesprochen, Themen, die die Zukunft der Stadt prägen und bestimmen werden.
Doch über die Folgen des geplanten Fehmarnbelttunnels und die Hinterlandanbindung der Bahn erfuhren die Bürgerinnen und Bürger der Stadt vonseiten der Verwaltung und Politik kaum etwas. Seit Vertragsabschluss des größten geplanten Infrastrukturprojekts Nordeuropas zwischen Dänemark und Deutschland 2008 gab es im Kreis Ostholstein dagegen eine sehr lebhafte und kontrovers geführte Auseinandersetzung über die Folgen für die sensible Erholungs- und Tourismusregion. In der Hansestadt war die Problematik sehr selten Thema der Bürgerschaft, obwohl z. B. die befürchteten negativen Folgen des Belttunnels auch für den Hafen-Umschlag und die Beschäftigungslage eine intensive Behandlung nahegelegt hätten. Hätte sich die Bürgerschaft nicht auch für einen optimalen Lärm- und Erschütterungsschutz für ihre betroffenen Bürgerinnen und Bürger mehr und rechtzeitig eigene Gedanken machen müssen? Vor allem: Hätten die Bürgerinnen und Bürger nicht nach gründlicher Information an diesem Prozess beteiligt werden müssen?

Zur Finanzierung von Lärm- und Erschütterungsschutz
Es geht vor allem um die gesundheitlichen Belastungen durch den erwarteten deutlich anwachsenden Schienengüterverkehr. Die Region einschließlich Lübeck fürchtet den durch den Güterverkehr hinzukommenden Lärm und die Erschütterung, außerdem eine Beeinträchtigung von Landschaft und Ortschaften durch Zerschneidung durch gigantische und nur z. T. wirksame Lärmschutzwände. An „Runden Tischen“, in einem „Projektbeirat“ und einem „Dialogforum“ wurden jahrelang Schutzmaßnahmen gegen die zukünftigen Belastungen erörtert. In allen Gremien waren auch Verwaltung und Einrichtungen der Wirtschaft der Hansestadt vertreten, eher still beteiligt, richtungsweisende Impulse gab es aus Lübeck nicht.
Die einstimmig im Dialogforum 2019 beschlossenen Kernforderungen lagen in Form eines Forderungskatalogs zur Beschlussfassung dem Bundestag vor. In Berlin wurde am 2. Juli 2020 über die insgesamt gut 417 Mio. Euro umfassenden übergesetzlichen Lärmschutzmaßnahmen für die gesamte Region einschließlich Lübeck entschieden. Gut 232 Mio. Euro wurden genehmigt, gut 150 Mio. Euro weniger, als in der Matrix des Dialogforums für Lärmschutzmaßnahmen aufgelistet. Für Lübeck sind insgesamt ca. 50 Mio. Euro für Maßnahmen gegen Lärm und Erschütterung bewilligt worden (34,80 Mio. Euro für übergesetzlichen Lärmschutz, 14,20 Mio. Euro für Erschütterungsschutz und 1,30 Mio. Euro für Vollschutzmaßnahmen an Gebäuden).

Einzelheiten der geplanten Schutzmaßnahmen der Bahn für Lübeck
Im Bauausschuss haben jüngst Vertreter der Bahntochter DB Netz die geplanten Lärmschutzmaßnahmen für Lübeck vorgestellt. Durch die Medien erfuhr die Öffentlichkeit endlich einmal konkrete Einzelheiten:
- Aufstellung von Lärmschutzwänden (zwei bis sechs Meter hoch) auf 14 km Länge im Stadtgebiet,
- Unterlegung von Gummimatten unter die Bahnschwellen,
- neue Zufahrt zur Teerhofinsel über die Warthestraße (Schließung der bisherigen Zufahrt),
- Bau von drei zusätzlichen Gleisen zwischen die bestehenden Gleisanlagen im Bereich des Hauptbahnhofs,  
- Erweiterung des Abzweigers Schwartau Waldhalle.
Die vorgesehenen Schutzmaßnahmen sind kein Entgegenkommen der Bahn für Wohlverhalten oder dgl., sondern Anspruch der Stadt, da sie Teil der Korridore des europäischen TEN-Verkehrsnetzes sind und eine Bürgerbeteiligung in Form des Dialogforums stattgefunden hat.

Offene Fragen und Probleme
a)    Wie erfolgt die „Entdröhnung“ der Eisenbahnbrücken auf Lübecker Stadtgebiet?
b)    Wie werden die Folgen des sekundären Luftschalls bekämpft?
c)    Welches Ergebnis hat die eisenbahnbetriebswissenschaftliche Leistungsfähigkeitsuntersuchung für den Lübecker Hauptbahnhof unter Einbeziehung sämtlicher prognostizierter Nahverkehre und sämtlicher von der Güterverkehrsprognose der LPA für das Jahr 2030 prognostizierter Güterverkehre erbracht?
d)    Was geschieht im Bereich der Katharinenstraße, wo aktive Lärmschutzmaßnahmen zur Beeinträchtigung der Blickbeziehung zur UNESCO-geschützten Altstadtsilhouette führen würden? Was spricht gegen Schutzbauwerke in Form von Einhausungen bzw. Teileinhausungen („Lübecker Deckel“)?
Zum Vergleich: Bad Schwartau hat sich für die Durchsetzung von nachhaltigen Schutzmaßnahmen jahrelang auf die entscheidende Auseinandersetzung mit der Deutschen Bahn vorbereitet, hat ein Kompetenzteam von Ingenieuren, Gutachtern und Juristen in Sachen Lärm- und Erschütterungsschutz und von sekundärem Luftschall gebildet, hat keine Kosten gescheut, um für eine besondere Troglösung zu kämpfen, notfalls mit dem Gang zum Gericht. Um die Stadt vor Zerteilung durch bis zu 6 m hohe Schallschutzwände zu bewahren, hat die Stadt ein Demonstrationsobjekt in der Nähe des Bahnhofs zur Information für die Einwohner errichtet. Die Verwaltung und die politischen Vertreter der Stadt haben bisher in großer Einmütigkeit und guter Öffentlichkeitsarbeit gehandelt. Hätte man vielleicht von unserem kleinen Nachbarn lernen können, wenn es bald darum geht, die ca. 4.000 betroffenen Bürgerinnen und Bürger der Hansestadt vor bleibenden Schäden und Beeinträchtigungen dauerhaft zu bewahren?
Für den geplanten Stadtumbau „Lübeck Nord-West“ mit dem Quartier rund um Brolingplatz, Roddenkoppel und Schlachthof würde eine bis zu 6 m hohe Lärmschutzwand nicht nur die Sicht auf die Altstadt versperren, sondern auch die Trennung zwischen St. Lorenz-Nord und der Innenstadt besiegeln. Das Architektenforum hatte deshalb für eine Überdeckelung der Bahnanlagen plädiert nach dem Vorbild des „Hamburger Deckels“ an der A 7.
Grünen-Politiker Arne-Matz Ramcke, der für einen „Lübecker Deckel“ entlang der Katharinenstraße plädierte, musste sich von den Bahn-Vertretern sagen lassen: „Dafür haben wir das Geld nicht.“
Wer kein Geld hat, müsste entweder tiefer in die Tasche greifen oder das Projekt aufgeben. Gilt das nur für Privatpersonen?
Einhausungen sind inzwischen gängige Schutzbauten. Das dauerhafte Wohl Lübecks und seiner Bürger*innen ist doch wohl das höhere Gut, wenn es um Nachhaltigkeit geht. Am 28. Jan. 2016 hat der Bundestag den eingebrachten Antrag „Menschen- und umweltgerechte Realisierung europäischer Schienennetze“ einstimmig angenommen. Daran sollten Lübecks Bürgerschaft und Lübecks Bundestagsabgeordnete die Deutsche Bahn erinnern und sich auf eine harte Auseinandersetzung mit der Deutschen Bahn vorbereiten.