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„BOMB. Variationen über Verweigerung“

Von Karin Lubowski, Lübeckische Blätter
Theater ganz frisch: In den Kammerspielen inszeniert Sapir Heller das 2020 uraufgeführte Schauspiel „BOMB. Variationen über Verweigerung“ von Maya Arad Yasur – ein Stück mit schwerer Thematik.
Es geht um Krieg und Gewalt, um Befehlsempfang und die Möglichkeit zur Verweigerung, um Opfer und Täter, um Väter und Kinder.

Tatsächlich weckt dann die Einführung ins Stück, zu der Dramaturgin Cornelia von Schwerin und die Autorin ins Mittelrangfoyer geladen haben, Bedenken: Können die folgenden anderthalb Stunden mit Blick auf angekündigte immer neue Handlungsstränge und der Aussage, dass es nicht schlimm sei, wenn man nicht alles verstehe, inspirierend sein? Sie können.
Und sie sind es. Zu erleben ist eine fantastische Synthese von Schauspiel- und Autorinnenkunst, Regie, Ausstattung und Musik. „Das beste moderne Stück, das ich jemals gesehen habe“, befindet eine junge Besucherin am Ende der begeistert aufgenommenen Premiere.
„Ist das überhaupt Kunst?“ Immer wieder springen Astrid Färber, Andreas Hutzel, Samantha Ritzinger, Henning Sembritzki, Vincenz Türpe und Will Workman auch mit dieser Frage aus ihren diffizilen Rollen. Denn zur Debatte steht nicht nur die Auseinandersetzung mit Kriegen und ihren akuten und in Generationen nachwirkenden Folgen, sondern auch die Überlegung, was mit Themen und in der Realität entsetzlichen Ereignissen geschieht, wenn sie künstlerisch bearbeitet werden. Maya Arad Yasur stößt das Publikum mit der Nase auf Fragen wie diese. In den Köpfen pulsiert es da längst angesichts der optischen Eindrücke, der Geschichten, die nach und nach durchschaubarer werden, der scheinbar spontanen Einfälle des darstellenden Personals.
Eine Piñata steht zentral auf der Bühne, dort agiert auch Rahel Hutter, die das Geschehen mit einer Live-Performance begleitet. „Bla – bla!“ ist zu hören. Ein Kommentar auf die Frage danach, was Kunst sei? Und dann mit „Lama“ wieder ein Rätsel. Die Piñata erfährt jedenfalls den Zweck ihres Seins, denn das Bühnenvolk drischt auf die Pappfigur ein. Und wo in der realen Welt Geschenke herausfallen sollten, regnet es Asche auf die Schicksale von Kriegstraumatisierten: von der Künstlerin, die mit einer Performance im Museum die Kriegserlebnisse ihres Vaters bearbeitet, vom Piloten, der bei einer Bombardierung Zivilisten tötete und nun mit seiner Aufgabe hadert, vom Jungen, dessen Vater bei der Bombardierung zu Tode kam und jetzt den Krieg mit einer ererbten Kamera dokumentiert. Welchen Krieg? Krieg ist Krieg.
Maya Arad Yasur, 1976 in Israel geboren, ist bekannt für ihre komplexe, oft segmentierende Erzählform. Ihre Stücke sind in dreizehn Sprachen übersetzt, das am häufigsten gespielte Drama ist das 2018 uraufgeführte „Amsterdam“, das 2018 mit dem Stückemarktpreis des Berliner Theatertreffens ausgezeichnet wurde.
Ja, es stimmt. Bei „BOMB“ bleibt im Zuschauerraum etliches für viele rätselhaft. Doch die Dramaturgin behält recht: Das ist nicht schlimm, denn das Hirn ist nicht der einzige Weg, den es zum Begreifen gibt. Ein breiter Pfad führt über Empfindungen. Und die werden reichlich provoziert. Ist das überhaupt Kunst? Was denn sonst!

Bildlegende: BOMB: Will Workman, links, Astrid Färber, Samantha Ritzinger, Andreas Hutzel, Henning Sembritzki (Foto: Stefan Loeber)